Verteidigung von Rationalität und Modellierung

Rationalität ermöglicht verlässliche Erwartungen und Kooperation in wirtschaftlichen Beziehungen. Sie wird dynamisch, wenn sie selbst auf ihre Bedingungen reflektiert. Eingebettet in Kommunikation muss sie Komplexität reduzieren wie auch erzeugen können.

Controller beherrschen ihre Übersetzungsarbeit, wenn sie mit ihren Zahlen umgehen können und damit die Erzählung im Unternehmen mitgestalten.

Verteidigung von Rationalität und Modellierung

Dieses Thema umfasst wesentliche Konzepte, um Ihr Verständnis zu vertiefen.

Kommunikation für Controller

Dieses Thema bietet detaillierte Anleitungen zur Unterstützung Ihrer Lernziele.

Fazit

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Verteidigung von Rationalität und Modellierung

Rationalität als die handlungsleitende Grundlage

Entscheidungen verlangen nach einer handlungsleitenden Grundlage, weil wir sie uns selbst und anderen gegenüber rechtfertigen. Wir leiten diese Forderung aus den Überlegungen von Jean-Paul Sartre ab. Gerade in einem wirtschaftlichen Umfeld fundamentaler Unsicherheit wird deutlich, warum Rationalität nicht nur notwendig sondern unverzichtbar ist. Rationalität, wie sie die neoklassische Ökonomie postuliert, ist ein unverzichtbares Prinzip des wirtschaftlichen Handelns. Sie bietet die grundlegende Orientierung, auf die wirtschaftliches Handeln aufbaut. Sie reduziert Komplexität, strukturiert die Entscheidungsfindung und schafft ein Modell, das Handeln überhaupt erst ermöglicht. Als Fremdkultur zielt sie auf Austausch und Verständigung. Rationalität fungiert als der notwendige Rahmen, in dem sich unternehmerische Freiheit verwirklicht.

Dabei ist die neoklassische Rationalität selbstverständlich keine absolute Wahrheit. Sie ist eine Form der Abstraktion, die es erlaubt, in einem unsicheren Kontext zu handeln. Wir haben das an Elena Espositos Darstellung der Fiktion der wahrscheinlichen Realität gesehen. Ein Unternehmer entwirft sich wie in einem Abenteuer über sich hinaus durch sein Entscheiden. Er spekuliert auf die Möglichkeit, dass seine rationalen Entscheidungen in einem dynamischen Umfeld erfolgreich sind. Diese Spekulation ist unvermeidlich: sie ist die Basis für Anschlusshandlungen, die erfolgen, oder auch nicht erfolgen. Der Erfolg entscheidet schließlich darüber, was als rational gilt und was nicht.

Flexibilität

Rationalität ist so im besten Fall kein starres Dogma. Stattdessen ist es ein Werkzeug, das es dem Akteur erlaubt, sich trotz Unsicherheit zu orientieren und zu behaupten. Der Unternehmer, wie ihn die neoklassische Theorie und ihre Erweiterungen beschreiben, verbindet dabei also Rationalität und Kreativität. Seine Entscheidungen basieren auf rationalen Kalkülen, zugleich wagt er aber Grenzüberschreitungen, stellt bestehende Strukturen in Frage und führt Neues ein. Rationalität wird hier zur Basis, die es erlaubt, das Unbekannte in das Bekannte zu integrieren.

Die Kritik an der Neoklassik beruht dabei auf einem Missverständnis. Rationalität ist, richtig eingesetzt, nicht starr oder absolut, sondern anpassungsfähig. Sie erlaubt es, neue Informationen zu integrieren, Präferenzen anzupassen und Handlungsstrategien zu korrigieren. Der homo oeconomicus ist kein unfehlbarer Akteur. Er ist vielmehr ein Modell für die Beweglichkeit des Beobachters, der in einem Raum wechselnder Bedingungen Entscheidungen trifft. In diesem Sinne spiegelt die neoklassische Rationalität die Fähigkeit wider, flexibel zu handeln und die Orientierung zu bewahren.

In dieser Beweglichkeit reflektiert die Neoklassik die Last des Menschen, sich selbst zu entwerfen und Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen: Der wirtschaftende Akteur als rationales Subjekt, das seine Präferenzen definiert, Alternativen bewertet und auf dieser Basis Entscheidungen trifft.

Verlässlichkeit

Rationalität ist in diesem Sinne nicht bloß eine Theorie. Sie ist Ausdruck der existenziellen Freiheit und Verantwortung des Unternehmers und zugleich die Grundlage für Vertrauen in wirtschaftliche Beziehungen. In einer Welt, in der Unsicherheit allgegenwärtig ist, ermöglicht die Unterstellung rationalen Verhaltens, dass Akteure verlässliche Erwartungen bilden und kooperieren. Vertrauen wird so zu einem Ausdruck von Rationalität, der wirtschaftliches Handeln stabilisiert und ermöglicht [FP1] [1].

Was aber unterscheidet das klassische Verständnis von Rationalität von der Rationalität als dem Rahmen, den ich hier vorschlage? Traditionelle Rationalität, verstanden als klar definierte, logische und widerspruchsfreie Entscheidungsfindung, stößt an ihre Grenzen: Sie ist überfordert, wenn sie mit den komplexen, ambivalenten und dynamischen Anforderungen moderner Organisationen konfrontiert wird. Eine neue Rationalität oder ein neuer Rahmen für Rationalität muss über den klassischen Umfang hinausgehen. Rationalität braucht die Fähigkeit, die eigenen Beobachtungen, Annahmen und Entscheidungsprozesse kritisch zu hinterfragen. Sie sollte erkennen, dass wir Entscheidungen nicht isoliert, sondern in einem sozialen und kommunikativen Kontext treffen. Die Wirksamkeit von Entscheidungen hängt davon ab, dass sie anerkannt werden und Anschluss finden.


Erläuterungen

[1] Dirk Baecker beschreibt Rationalität als die Fremdkultur schlechthin. In der Recherche im Anhang analysiere ich noch einmal, warum Rationalität die Rolle des Fremden einnimmt, obwohl wir uns doch grundsätzlich selbst für rational halten und damit Eigenes meinen. Tatsächlich kann man Rationalität als Fremdes im Eigenen betrachten und findet Rationalität so als universelle, aber distanzierte Struktur, die zum Instrument der Vergleichbarkeit wird und so die Einzigartigkeit und Geschlossenheit der Eigenkultur untergräbt. Rationalität als Fremdkultur

[FP1]Da ist jetzt aber etwas anders als bisher in der klassischen Rationalität – was? Dirk Baecker beschreibt Rationalität als eine Fremdkultur. Das löst die Frage auf (siehe Fußnote).

Kommunikation

Kommunikation, verstanden als eine Form der Erzählung, wird damit zum zentralen Element der Rationalität. Sie ist offen, lernend und auf Zusammenarbeit angewiesen und sie ist nicht dogmatisch und sondern auf Anpassung ausgelegt. Besonders wichtig ist deshalb die Fähigkeit der Erzählung, Komplexität zu erzeugen und wieder zu reduzieren. Denn auch Rationalität muss beides können: Traditionelle Rationalität strebt nach Vereinfachung und Reduktion von Komplexität. Gleichzeitig erkennt eine neue Rationalität, dass sie Komplexität nicht vermeiden, sondern aktiv gestalten muss. Sie balanciert bewusst zwischen Offenheit und Fokussierung. Für Controlling und Unternehmenssteuerung bedeutet das zweierlei: Rationalität liegt nicht nur in Zahlen und Modellen. Sie liegt auch in der Fähigkeit, Kommunikation, Komplexität und Wandel aktiv zu gestalten.

Kommunikation für Controller

Wir können jetzt auf die Fragen zurückkommen, die ich mir als Controller und Unternehmer stelle: worauf kann ich mich verlassen und wie bereite ich mich vor? Wir wissen, dass die neoklassische Ökonomie mit ihrer Rationalitätsannahme keine perfekte Beschreibung der Realität bietet. Trotzdem ist sie eine unverzichtbare Grundlage ist für das Handeln. Richtig eingesetzt, erkennt sie Sartres existenzielle Not der Freiheit an: Sie zwingt jeden Akteur, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung auch ohne absolute Gewissheit zu übernehmen.

Formale Rationalität mit einer reflexiven und kontextbezogenen Rationalität verbinden

Ein neues Verständnis von Rationalität im Controlling bezieht somit stärker die kommunikativen, sozialen und ambivalenten Dimensionen von Entscheidungen ein. Es geht darum, Komplexität nicht nur zu reduzieren, sondern auch bewusst zuzulassen. Wir tun das, um kreative Lösungen und nachhaltige Entscheidungen zu ermöglichen. Die Herausforderung besteht darin, formale Rationalität mit einer reflexiven und kontextbezogenen Rationalität zu verbinden. Sie soll nicht nur Effizienz, sondern auch Sinnstiftung und Anschlussfähigkeit in den Vordergrund stellen.

In diesem Rahmen ist Rationalität nicht mehr ausschließlich statisch, logisch und widerspruchsfrei. Sie hinterfragt sich selbst und lernt aus ihren Grenzen[1]. Sie ist dialogisch, weil sie im Austausch und in der Aushandlung von Bedeutungen entsteht. Außerdem ist sie dynamisch, flexibel und anpassungsfähig, weil sie sowohl Komplexität erzeugen als auch reduzieren kann.

Damit ist Rationalität keine Einschränkung. Richtig eingesetzt ermöglicht sie Orientierung, Handlungsfähigkeit und Innovation. Gerade in ihrer spekulativen und flexiblen Natur zeigt sich ihre Stärke: Sie ist die Basis, auf der wirtschaftlich handelnde Akteure Unsicherheit bewältigen und sich über sich hinaus entwerfen.


Erläuterungen

[1] Baecker 1999, S. 194: „Wie man an der Leichtigkeit sehen kann, mit der sich Routinen durchsetzen lassen, gewinnen Abstraktionen sehr schnell eine Konkretheit, deren Gefahr wie deren Entlastungsleistung darin besteht, dass sie für die »evidence« selbst genommen wird. Eine der wesentlichen Fragen der Organisationstheorie besteht daher in der Suche nach Entscheidungsverfahren, die auf Entscheidungsverfahren in dem Sinne angewendet werden, dass sie die Wirklichkeitsillusionen der Abstraktionen markieren und Korrekturmöglichkeiten einführen, ohne damit die Abstraktionsleistung als solche zu gefährden. Die eigentliche Leistung von Entscheidungsverfahren besteht dann ebenso sehr in der Reduktion wie in der Steigerung beziehungsweise Erzeugung von Ungewissheit…“

Die doppelte Aufgabe der Kommunikation

Für Controller wird damit Kommunikation zu einer doppelten Aufgabe. Sie müssen anerkennen, dass Kommunikation mehr ist als nur die Weitergabe von Informationen. Es geht auch darum, Sinn und Bedeutung zu schaffen. Sie sollen es den Adressaten ermöglichen, Handlungen zu verstehen und zu bewerten. Komplexität erweitert ihren Horizont, wenn sie überraschende Erkenntnisse liefert, Widersprüche aufzeigt und alternative Perspektiven eröffnet. So fördert sie kritisches Denken und Innovationskraft. Kommunikation reduziert Komplexität, wenn sie Erkenntnisse so vermittelt, dass sie verständlich und handlungsleitend werden. Hier geht es um Klarheit, Struktur und Entscheidungshilfen. In dieser doppelten Rolle ist Kommunikation im Controlling nicht nur ein technischer Prozess, sondern Teil der Unternehmenskultur.

Für die Kommunikation und als Grundlage von Entscheidungen bedeutet das beidem, Zahlen und Narrativen, eine zentrale Rolle einzuräumen. Nur zusammen schaffen sie wirtschaftlichen Sinn und Bedeutung, erzeugen Komplexität und reduziert sie, integrieren Widersprüche und Überraschungen. Wir müssen Rationalität auf diese Weise neu denken. So umfasst sie Reflexivität, Dialog, Dynamik, Komplexitätsfähigkeit und Wertorientierung, und wird den Anforderungen einer sich wandelnden Welt gerecht.

Fazit

Klassische Rationalität ist nicht überflüssig, sondern wird dringend benötigt. Wir müssen sie aber als das betrachten, was sie ist: eine Spekulation auf Rationalität und Grundlage einer letztlich fiktiven Erzählung. Genau in dieser Rolle ist sie unverzichtbar. Sie verleiht einer spezifischen Erzählung des Controllings die notwendige Strenge, Plausibilität und Nachvollziehbarkeit. Die Erzählungen des Controllings treten mit dieser Eigenschaft aus der Menge anderer Erzählungen des Unternehmens hervor. Sie verleiht der Kommunikation des Controllings ihre besondere Wirksamkeit.

Wir erreichen diese Wirkung allerdings nur dann, wenn es uns gelingt, die Modelle des Controllings in einen Dialog einzubetten. Dieser Dialog ist öffnend und im Sinne von Erklärungen und Klarstellungen schließend zugleich. Als Konsequenz heißt das für Controller, dass sie bei allem, was sie untersuchen und berichten, die Erzählung in den Vordergrund stellen.

Die Übersetzungsarbeit der Controller

Controller leisten dann eine Übersetzungsarbeit aus der narrativen Welt der Erzählung in die reproduzierbare Herstellung von Daten. Sie verarbeiten diese Daten in folgerichtigen Modellen. Und letztlich übersetzen sie ihr Wissen aus einer Zahlenwelt in nachvollziehbare und überzeugende Erzählungen, die zum Handeln anleiten. Die Arbeit der Controller beginnt mit einer Erzählung und sie endet mit einer Erzählung. Dazwischen bringen Controller ihr Verständnis und ihre Expertise im Umgang mit Daten und Modellen so ein, dass ein verlässlicher Dialog entsteht.

Alle, die im Controlling Verantwortung tragen, sollten also darauf achten, dass ihre Mitarbeiter beides beherrschen: ihre technischen Werkzeuge und die Mitgestaltung der Erzählungen des Unternehmens. Für Controller heißt das, dass Rationalität nicht nur in Zahlen und Modellen liegt. Sie liegt auch in der Fähigkeit, Kommunikation, Komplexität und Veränderung zu gestalten. Ein aktuelles Verständnis von Controlling beinhaltet daher mehr als analytische Fähigkeiten. Das macht die Arbeit im Controlling für mich viel spannender. Und es gibt der Verarbeitung von Daten die Bedeutung, die sie verdient.