Die Struktur und ihre Inszenierung
Wirtschaft operiert in ihrem eigenen Medium und repräsentiert sich dadurch selbst. Selbstinszenierung als Beobachtung dritter Ordnung.
Chunking als Grundidee
Erfassung und Stabilisierung von Signalen als wiederkehrende Muster.
Die Rückbezügliche Kommunikation im System
Selbstbeschreibung als Operation im eigenen Medium.
Die Inszenierung als Beobachtung dritter Ordnung
Gestaltung der Innen- und Außenwahrnehmung.
Chunking als Grundidee
Text
Im PKRN bildet sich Wissen durch die kontinuierliche Selektion und Zusammenfassung von Signalen zu wiederkehrenden Einheiten durch Akteure. Akteure können Individuen, Gruppen oder Artefakte sein. Die Zusammenfassung von Signalen (Chunking) erfolgt räumlich-strukturell, beispielsweise durch Routinen, Begriffe oder Organisationsformen, sowie zeitlich durch autopoietische, selbsbezügliche Prozesse, Rhythmen, Projektphasen oder Berichtszyklen.
Chunking sozial, semantisch und semiotisch
Die Prozesse des Chunkings laufen auf drei miteinander verbundenen Ebenen ab.
- Im sozialen Kontext (Beziehungen und Interaktionen zwischen Menschen und Organisationseinheiten) entstehen gemeinsame Normen und Praktiken. Dies geschieht beispielsweise durch Informationsaustausch und die Entwicklung von Routinen in Abteilungen oder Projektgruppen.
- In einem semantischen Netz (Bedeutungen, Begriffe, Narrative) werden Interpretationsmuster gefestigt. Begriffe, Erzählungen oder Theorien werden wiederholt und weitergegeben, wodurch sie als akzeptierte Grundlagen etabliert werden.
- Im semiotischen Kontext (Zeichen und Artefakte wie Texte, Bilder, Software) beeinflussen Artefakte aktiv die Kommunikation. Formulare, Maschinen und Dokumente enthalten Wissen und lenken Beteiligte in vorgegebene Abläufe. Dies hat Auswirkungen auf soziale und semantische Prozesse.
Zeitliches Chunking
Systeme nutzen zeitliches Chunking zur periodischen Überprüfung und Anpassung ihres Zustands, beispielsweise in Besprechungen, Sprints oder Jahresabschlüssen. In diesen Phasen erfolgten eine teilweise Neubewertung und Veränderung etablierter Konzepte und Abläufe. Zeitliches Chunking hat darüber hinaus eine kontinuierliche Struktur: Es faltet die Zeit, indem die Selbsterzählung des Systems nur um diejenigen aktuellen Bestandteile ergänzt wird, die als signifikante Veränderung angesehen werden.
Die bestehende Struktur beeinflusst dabei die Wahrnehmung und bestimmt die Relevanz von Informationen innerhalb der Zeitprozesse. Räumliches und zeitliches Chunking interagieren: Hierarchien wie Abteilungen, etablierte Konzepte und standardisierte Artefakte beeinflussen die Wahrnehmung und Verarbeitung von Signalen. Umgekehrt führen neue Erkenntnisse oder Krisen in definierten Zeitfenstern zu Veränderungen in der bestehenden Struktur.
Vielfach verwoben
Ebenso interagieren soziale, semantische und semiotische Netzwerke: Personen, Bedeutungen und materielle Objekte bilden ein vielschichtiges System von Beziehungen, in dem kontinuierlich stabile Einheiten und neue Zusammenhänge entstehen.
Diese vielfach miteinander verwobenen Prozesse resultieren zwar in Effizienz, da nicht jede Einzelheit neu verhandelt werden muss. Gleichzeitig ist das Geflecht von Kommunikationen äußerst kompliziert. Ordnung und damit Bedeutung ist nicht greifbar. Sie kann nicht festgestellt werden. Aber vielleicht ist genau das der Grund, warum komplexe Netzwerke flexibel bleiben. Nur so nämlich entstehen Verbindungen, die sich bei Bedarf ändern können. Die Komplexität liegt im Gleichgewicht zwischen Stabilität und Wandel: Wissensbildung erfolgt permanent, auf verschiedenen Ebenen und Zeitebenen, während soziale, semantische und semiotische Aspekte eng miteinander verbunden sind[1].
[1] Thomas A. Bauer beschreibt es in seinem Essay „Signaturen der Mediengesellschaft, Medialität als das ästhetische Moment im Verhältnis von Kommunikation und Gesellschaft“, Abschnitt Ästhetik der Komplexität so: „Der theoretische Wert des Komplexitätskonzepts liegt in dessen Potenzial der Horizonterweiterung und dessen Verweis auf kommunikative Kompetenz: es ermöglicht anzunehmen, dass das, was ist, seiner Deutungen und der über Kommunikation ausverhandelten dann sozial gültigen Bedeutungen wegen ist, wie es (gewusst) ist.“
Die Rückbezügliche Kommunikation im System
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Das PKRN basiert auf der Annahme, dass ein System innerhalb seines Kommunikationsmediums operiert und sich dadurch selbst repräsentiert. Die Wirtschaft oder eine Organisation tritt nicht lediglich als außenstehender Beobachter auf, sondern agiert als Teil der von ihr verwendeten Kommunikations- und Produktionsprozesse. Damit ist die Kommunikation des Systems Element desjenigen Mediums, in dem sie selbst wirkt. Und dadurch entfaltet sich eine besondere Form von Rückbezüglichkeit.
Kommunikation als Element ihres eigenen Mediums
Wenn ein Netzwerk – beispielsweise ein Unternehmen – seine Produktionsverfahren und Austauschbeziehungen beobachtet, tut es dies über die Werkzeuge und Sprachen, die wiederum Teil des Netzwerks sind. So ist jeder Bericht, jedes Dokument, jede Statistik bereits Ausdruck und Mitgestaltung desselben Systems. Jedes Protokoll oder Softwaretool, das Kennzahlen liefert, ergänzt das System um eine neue Interpretation seines eigenen Zustands.
Vom operativen Beobachten zur Selbstbeschreibung
Beobachtung erster Ordnung: Die laufende Produktion betrachten wir als Prozess, in dem Selektionsentscheidungen beispielsweise bezüglich der Vorprodukte und ihrer Verarbeitung getroffen werden. Das Netzwerk wählt aus einer Fülle von Signalen jene aus, die es für relevant hält, und wendet etablierte Verarbeitungsregeln an.
Beobachtung zweiter Ordnung beinhaltet die systeminterne Reflexion über die Interpretation der Selektionen der Beobachtung erster Ordnung. Welche Kommunikationen werden verarbeitet? Welche Verarbeitungsregeln werden dabei angewendet? Akteure untersuchen ihre Vorgehensweisen, Modelle und Routinen, indem sie beispielsweise die Gründe für die Auswahl der Vorprodukte und die ihnen zugeschriebene Bedeutung analysieren. Diese Selbstbeschreibung generiert ein Selbstbild des Systems. In ökonomischen Netzwerken (Unternehmen) erfolgt ein Teil dieser Arbeit häufig durch Controlling-Abteilungen. Controlling analysiert die operativen Prozesse und leitet daraus Maßnahmen ab, die nichts anderes sind, als aktualisierte Selektionsprozesse.
Indem sich das System also beobachtet, gestaltet es auch seine eigene Selbstdarstellung. Interne und externe Kommunikation, wie Geschäftsberichte und Strategiepapiere, wirken dabei gleichzeitig auf seine Selbstwahrnehmung und damit auf zukünftige Entscheidungen.
Inszenierung als Beobachtung dritter Ordnung
An dieser Stelle greift die Idee, dass es noch eine weitere Ebene der Beobachtung gibt. Das System, das weiß, dass es sich selbst beobachtet und darstellt, kann diese Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung bewusst inszenieren. Die dabei zu beantwortenden Fragen lassen sich in etwas so formulieren:
- Welche Erzählungen verbreiten wir über unsere Organisation?
- Wie gestalten wir unsere Berichte, unsere Kennzahlen und Kommunikationskanäle, damit sie unseren strategischen Zielen und unserer kulturellen Ausrichtung entsprechen?
Auf dieser Ebene wird das System zum Regisseur der eigenen Darstellung. Es präsentiert sich durch Imagekampagnen, Investor Relations und Corporate-Social-Responsibility-Berichte. Dadurch verbindet es Interessen und Interpretationen zu einer Darstellung, die sowohl interne Gegebenheiten als auch das angestrebte öffentliche Bild wiedergibt.
Die Bedeutung für Controlling-Methoden und -Prozesse
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Aus ökonomischer Perspektive ist dieser Beobachtungsprozess sehr relevant auch für das Controlling. Es überwacht und bewertet operative Prozesse und berichtet darüber als eine Beobachtung zweiter Ordnung. Die Ergebnisse sind Teil der Selbstbeschreibung des Unternehmens. Zugleich hat das Controlling Anteil an der Inszenierung (dritte Ordnung), weil es darüber entscheidet, welche Kennzahlen verwendet und wie sie „gelesen“ und kommuniziert werden. Damit beeinflusst es nicht nur den Inhalt der Selbstdarstellung, sondern auch die Art, wie sich das Unternehmen in seiner Erzählung selbst sehen will. Es folgt daraus, dass Controlling nicht nur Zahlen ermittelt, sondern durch Darstellung und Deutung Handlungsspielräume des Unternehmens gestaltet.
Die Rückbezüglichkeit der Kommunikation äußert sich darin, dass das System stets in seinem eigenen Medium agiert und somit sich selbst beobachtet und darstellt. Produktion und Beobachtung sind in einem Netzwerk verbunden, das operativ handelt (erste Ordnung), sich selbst reflektiert (zweite Ordnung) und seine Selbstdarstellung bewusst inszeniert (dritte Ordnung).
Diese Ebenen ermöglichen nicht nur die Stabilisierung und Steuerung von Prozessen. Sie eröffnen auch die strategische Gestaltung der Außen und Innenwahrnehmung. Die Betrachtung wirtschaftlicher Netzwerke verdeutlicht die enge Verknüpfung von Kommunikation, Beobachtung und Inszenierung und deren Einfluss auf Controlling-Prozesse und die Organisation.
Dieses Thema werde ich in einem weiteren Aufsatz aufgreifen, in dem es um die Medialität und die Kultur des Controllings geht. Der Aufsatz wird sich wesentlich auf das Thema der Rationalität des Unternehmers beziehen, zu dem es schon einen Aufsatz auf meiner WebSite mit dem Titel „Eine Verteidigung der Neoklassischen Ökonomie“ gibt.
