Das Prinzip der Komplexitätsreduktion als eine Netzwerkfunktion.

Dieser Abschnitt beschreibt die wichtigsten Funktionen kurz. Die ausführliche Beschreibung finden Sie über die Links in der rechten Spalte. Der besseren Lesbarkeit halber nennen wir das Prinzip der Komplexitätsreduktion in Netzwerken kurz PKRN.

Ein universelles Prinzip

Information entsteht durch die Auswahl von Signalen und die Zuweisung von Bedeutung durch eine Sinnunterstellung. Solche Muster stabilisieren sich durch Wiederholung und Reflexion, sie bilden Cluster von Kommunikationen.

Die Clusterbildung kann mit der Small-World-Theorie erklärt werden. Sie hat eine dreigliedrige Struktur und eine zeitliche Komponente.

Anwendung auf die Wirtschaft und das Controlling

Die Wirtschaft ist ein Beispiel für ein Netzwerk, das Komplexität reduziert. Es geht darum, Nutzern Produkte verfügbar zu machen. Unternehmen agieren im Netzwerk als Beobachter, die eine bestimmte Übersetzungsleistung erbringen.

Controlling ist hier ein modellbildendes System zweiter Ordnung, weil es den Beobachter erster Ordnung beobachtet. Es leistet dadurch eine Übersetzungsarbeit zur Selbstbeschreibung des Unternehmens.

Erste Philosophische Nachbetrachtung

Wissen entsteht durch pragmatische Stopps in der Dekonstruktion. Signale werden zu Chunks zusammengefasst, um handlungsfähig zu bleiben. Wir akzeptieren Einheiten, wenn sie praktisch funktionieren.

Die Überlegungen von Josef Simon (Philosophie des Zeichens) und Alain Badiou (Das Sein und das Ereignis) passen zu unserer Vorstellung der Komplexitätsreduktion in Netzwerken.

Zweite Philosophische Nachbetrachtung

Ordnungen entstehen durch kommunikative Strukturen und stabilisieren sich durch Gebrauch. Jede Ordnung basiert dabei aber auch auf einer Ausgrenzung, die einen Veränderungsdruck ausübt.

Bernhard Waldenfels (Ordnung im Zwielicht) sagt, dass Ordnungen sich verändern oder versagen, sobald man Ausgeschlossenes nicht länger ignorieren kann. Controlling braucht deshalb das Spannungsverhältnis von Stabilität und Offenheit für seine Rolle als aktiver Beobachter.

Die Strukturen und ihre Inszenierung

Mit seiner Selbstbeschreibung in Form von Strukturen, Berichten und Handlungen operiert das System in seinem eigenen Medium. Indem sich das System beobachtet, gestaltet es auch seine eigene Selbstdarstellung.

Das System, das weiß, dass es sich selbst beobachtet und darstellt, kann diese Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung bewusst inszenieren.

Prinzip der Komplexitätsreduktion in Netzwerken (PKRN)

Ein universelles Prinzip

Die Struktur des Netzwerks als Wissen und seine zeitliche Dynamik.

Anwendung auf die Wirtschaft und das Controlling

Komplexitätsreduktion in der Wirtschaft und Controlling als Beobachtung zweiter Ordnung.

Erste Philosophische Nachbetrachtung

Zählen und die Bedeutung von Zeichen als pragmatische Grundoperationen.

Zweite Philosophische Nachbetrachtung

Ordnung als Auswahl und Ausschluss: Das Fremde lauert am Rand und stellt die Ordnung in Frage.

Die Strukturen und ihre Inszenierung

Wirtschaft operiert in ihrem eigenen Medium und repräsentiert sich dadurch selbst. Selbstinszenierung als Beobachtung dritter Ordnung.

Anhänge

Kolimiten (Colimits)

Kolimiten sind die Strukturen, die Strukturen von Netzwerken abbilden können. Wir bilden damit beliebige Verknüpfungen von Systemen.

Chunking in Raum und Zeit

Chunking von Kommunikationen in Netzwerken als strukturelle und zeitliche Funktion. Mathematik: Strukturen der Kategorien-Theorie, Zeitreichen-Modelle zur Modellierung von Langzeitabhängigkeiten und Gedächtniseffekten.

Bezüge zur Systemtheorie

Erkennen und Beobachten basieren auf Unterscheidungen, die Orientierung bieten, Bezüge zum Josef Simon und Alain Badiou, Systembildung und Sprache und zu Ludwig Wittgenstein.

Bezüge zur Akteur-Netzwerk-Theorie

Anschlüsse an Systembildung, Dynamik, Stabilisierung und die Vorstellung eines Patchworks von Systemen.

Mechanismus

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Im Mittelpunkt steht die Idee, dass Informationen mit einem Überschuss an Bedeutungen verbunden sind. Um mit dieser Flut umzugehen, wählen Systeme (kognitive, soziale, technische, wirtschaftliche) bestimmte Signale aus und geben ihnen eine von vielen mögliche Bedeutung. Es geht darum, aus Signalen Informationen zu machen und mit diesen umzugehen. Dieser Prozess erfolgt in zwei Schritten.

Sinnunterstellung

Systeme, beispielsweise eine Gruppe von Menschen, eine Firma oder eine Maschine, erhalten sehr viele Signale. Um nicht von diesen vielen Daten überfordert zu werden, treffen sie eine Entscheidung und wählen aus. Sie entscheiden sich für einige Signale und verwerfen andere. Dies bedeutet, dass die Systeme den ausgewählten Signalen einen Sinn unterstellen.

Informationsverarbeitung, also die Weiterverarbeitung und Nutzung der Daten, startet erst, nachdem die Signale interpretiert wurden. Vorher können die Systeme mit der großen Menge an Daten nichts anfangen. Die Interpretation ist somit eine notwendige Voraussetzung für die Verarbeitung von Informationen.

Stabilisierung

Wenn sich eine Bedeutung oder ein Muster, beispielsweise ein erprobter Arbeitsablauf oder eine etablierte Konvention, in der täglichen Anwendung als vorteilhaft erweist, festigt es sich durch regelmäßige Wiederholungen und eingespielte Routinen. Auf diese Weise entwickeln sich stabile „Black Boxes“ oder „Chunks“.

Eine „Black Box“ ist ein System, dessen interne Funktionsweise für den Benutzer nicht von Bedeutung ist. „Chunks“ sind Wissenseinheiten, die als Ganzes gespeichert und abgerufen werden. Diese Einheiten erlauben es, Prozesse zu nutzen, ohne jedes Mal alle Einzelheiten prüfen zu müssen. Das führt dazu, dass die Komplexität reduziert wird, da nicht alle Informationen gleichzeitig berücksichtigt werden müssen.

Wie das Prinzip wirkt

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Reduktion durch Selektion:

Da unendlich viele Signale denkbar sind, wählt das System einen Teil davon aus und „verwirft“ den Rest. Dieser Prozess der Auswahl wird auch als Filterung bezeichnet. Diese Selektion, also die Auswahl bestimmter Signale, senkt die Reiz- und Informationsflut und definiert, was im System als relevant gilt. Relevanz bezieht sich dabei auf die Bedeutung oder Wichtigkeit eines Signals für das System.

Die Relevanz kann durch verschiedene Faktoren bestimmt werden, beispielsweise durch die Häufigkeit des Auftretens eines Signals oder durch die Übereinstimmung mit internen Bedürfnissen des Systems. Durch die Reduktion auf relevante Signale kann das System effizienter arbeiten und sich auf die Bewältigung wichtiger Aufgaben konzentrieren.

Aufbau stabiler Bedeutungsstrukturen:

Je häufiger sich eine Bedeutung oder ein Verfahren bewährt, desto stärker wird es verankert – etwa als standardisierte Schnittstelle, einheitlicher Sprachgebrauch für die Verbindung unterschiedlicher Systeme, gemeinsam verstandener Begriff oder fester Ablauf. Diese Etablierung erleichtert die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren.

Dadurch kapselt man Komplexität: Der Blick muss nicht immer alle Details neu klären, sondern kann auf bewährte „Black Boxes“ zurückgreifen. Eine „Black Box“ ist ein System, dessen interne Funktionsweise weitgehend unbekannt oder irrelevant ist; man konzentriert sich lediglich auf die Eingabe und Ausgabe. Der Einsatz solcher etablierter Elemente ermöglicht eine effizientere Arbeitsweise, da nicht jeder Aspekt eines Problems von Grund auf neu durchdacht werden muss.

Lokale Stabilität bei globaler Vernetzung (Small-World-Charakter):

Netzwerke bilden Cluster, also Ansammlungen von Akteuren oder Elementen, in denen eine enge Abstimmung stattfindet und Bedeutungen schnell „dicht“ etabliert werden können. Diese enge Abstimmung innerhalb eines Clusters begünstigt die Entwicklung gemeinsamer Verständnisse und Routinen. Gleichzeitig gibt es schwache Verbindungen zu anderen Clustern, sogenannte „Brückenknoten“, die eine wichtige Funktion erfüllen, indem sie die Kommunikation zwischen den Clustern aufrechterhalten. Ein Brückenknoten ist ein Element oder Akteur, der Verbindungen zu mehreren Clustern unterhält und somit den Informationsfluss zwischen ihnen ermöglicht. Durch diese Brückenknoten kann Wissen insgesamt im großen Netzwerk zirkulieren.

Das sorgt dafür, dass trotz lokaler Komplexitätsreduktion, also der Vereinfachung von Informationen und Prozessen innerhalb eines Clusters, ein übergreifender Austausch möglich bleibt. Die Komplexitätsreduktion ermöglicht es den Clustern, sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren und effizient zu arbeiten. Der übergreifende Austausch, der durch die Brückenknoten gefördert wird, verhindert jedoch, dass die einzelnen Cluster isoliert voneinander agieren und ermöglicht die Entstehung neuer Ideen und Innovationen durch die Kombination unterschiedlicher Perspektiven.

Dreigliedrige Wissensspeicherung:

Systeme verarbeiten Signale auf verschiedenen Ebenen. Sie verarbeiten soziale Aspekte, indem sie erfassen, wer miteinander in Beziehung tritt und wie diese Interaktionen gestaltet sind. Diese Beziehungen können durch verschiedene Faktoren wie Hierarchie oder gemeinsame Interessen beeinflusst werden.

Des Weiteren betrachten Systeme semantische Informationen, also die Bedeutung von Sprache. Hierbei untersuchen sie, wie Begriffe verwendet und welche Konzepte durch diese Begriffe ausgedrückt werden. Die Semantik befasst sich also mit der inhaltlichen Ebene der Kommunikation.

Zusätzlich analysieren Systeme semiotische Aspekte, das bedeutet, sie interpretieren die verwendeten Zeichen und Artefakte. Artefakte sind beispielsweise Gegenstände oder Werkzeuge, die in einem bestimmten Kontext eine Bedeutung tragen.

Diese drei Ebenen der Netzwerke, die soziale Beziehungen, sprachliche Bedeutungen und Zeichen analysieren, stehen in enger Verbindung zueinander. Wissen wird auf den Ebenen als Kommunikationen strukturiert, wiedererzählt und verwendet. Das macht seine Darstellung als räumliche Strukturierung kompliziert.

Zeitliches Chunking:

Systeme nutzen nicht nur räumliche Strukturen von Kommunikationen. Um ihre Abläufe zu steuern, legen sie außerdem Zeitfenster fest. Zeitfenster sind festgelegte Zeiträume, in denen bestimmte Aktionen stattfinden oder Informationen verarbeitet werden. Diese Zeitfenster basieren auf wiederkehrenden Rhythmen oder Zyklen. Ein Beispiel dafür sind Quartalsberichte, die alle drei Monate erstellt werden, oder Projektphasen, die einen Anfangs- und Endzeitpunkt haben.

Unter Anderem durch die Verwendung von Zeitfenstern entscheiden Systeme, wann neue Informationen in das System gelangen oder wann bestehende Routinen aktualisiert werden. Das bedeutet, dass das System festlegt, wann es für neue Daten empfänglich ist und wann es seine Arbeitsweise anpasst.

Eine weiterer wichtiger Aspekt bei der Modulation von Zeit ist die autopoietische Arbeitsweise von Systemen. Es ist eine spezielle Form des zeitliches Chunkings, das ein System in die Lage versetzt, die Bedeutung von Ereignissen aus der Vergangenheit unterschiedlich zu bewerten. Je nachdem, wie wichtig vergangene Ereignisse für die aktuelle Situation sind, werden sie stärker oder weniger stark gewichtet. Relevantere Ereignisse beeinflussen die Entscheidungen des Systems stärker als weniger wichtige Ereignisse.

Dadurch konstruieren und stabilisieren sie die Gegenwart als dynamisches Zeitfenster, das Vergangenheit und Zukunft verbindet. Die Gegenwart ist konstruiert als eine Erzählung, die Vergangenes und Zukünftiges enthält.

Dies ermöglicht es den Systemen, einerseits effizient zu arbeiten, da sie sich auf bestimmte Zeiträume konzentrieren können. Andererseits bleiben sie flexibel und anpassungsfähig, da sie in der Lage sind, Veränderungen in ihren festgelegten Zeitfenstern zu berücksichtigen.

Etablierung und Wandel:

Routinen laufen im Alltag oft unbemerkt ab, da sie etablierte Verhaltensmuster darstellen und Handlungen automatisieren. Solange diese Routinen wie geplant ablaufen, besteht keine Notwendigkeit, sie zu prüfen. Erst wenn unerwartete Ereignisse, sogenannte Anomalien, auftreten oder kritische Situationen entstehen, beginnt das System, seine grundlegenden Annahmen zu hinterfragen und seine Strukturen zu verändern.

Ein solcher Paradigmenwechsel, also eine grundlegende Veränderung der Denkweise oder des Bezugsrahmens, kann zu einer Neuorganisation führen. Durch diese stetige Anpassung bewahrt das System ein Gleichgewicht zwischen Beständigkeit und der Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Stabilität meint hier die Aufrechterhaltung bewährter Prozesse, während Anpassungsfähigkeit die Flexibilität zur Reaktion auf neue Herausforderungen beschreibt.

Zentrale Idee

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Sinnunterstellung sowie die Stabilisierung von Bedeutungen sind grundlegend für die Bewältigung von Komplexität. Dann werden diese Bedeutungen zur Routine, sodass man das, was bearbeitet werden muss, leichter handhaben kann. Bei zu vielen Störungen oder unbeantworteten Fragen fängt das System an, die alten Routinen neu zu bewerten oder sie ganz zu verwerfen. Auf diese Weise bleibt das System anpassungsfähig und lernt dazu.

Dieses Prinzip der Komplexitätsreduktion lässt sich auf unterschiedliche Bereiche übertragen: in Unternehmen (Controlling, Organisation), in sozialen Interaktionen (Begriffsbildung, Routinen), in technischen Systemen (Standards, Schnittstellen) und sogar in kognitiven Prozessen (Wahrnehmung, Chunks). Letztlich zeigt der Aufsatz, dass diese Reduktion der Fülle von Möglichkeiten – durch Sinnunterstellung und Stabilisierung – grundlegend ist, um in komplexen Umwelten handlungsfähig zu bleiben.