Das Modell

Wer die Arbeit des Controllings beschreiben will, braucht ein Modell dessen, was Controlling beobachtet. Natürlich geht es um wirtschaftliche Aktivitäten. Die fallen aber so unterschiedlich aus, dass konkrete Vergleiche, wie Unternehmen arbeiten, nicht weit führen. Wir brauchen also ein abstraktes Unternehmensmodell, um Controlling als eine allgemeine Form der Beobachtung zu beschreiben.

Wir entwickeln die Idee in drei Schritten:

  1. Wirtschaft ist Informationsverarbeitung: Wir übertragen einen weiter gefassten Informationsbegriff aus Biologie und Kybernetik auf die Kommunikation in und zwischen Unternehmen. Dieser Begriff erfasst auch Waren und Dienstleistungen sowie deren Bezahlung.
  2. Informationsverarbeitung im Netzwerk Wirtschaft: Durch die Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren entsteht ein Netzwerk, das in der Lage ist, Information zielgerichtet zu verarbeiten. Wir zeigen, wie diese Verarbeitung abläuft und worauf es dabei ankommt.
  3. Intelligentes Netzwerk: Mit diesen Vorarbeiten können wir die Wirtschaft als Ganzes, oder in seinen Teilen, als ein emergentes, intelligentes Netzwerk betrachten. Es verarbeitet seine spezielle Art von Information und seine Architektur ist mit derjenigen moderner Transformer-Modelle vergleichbar.

Die Argumentation des Modellaufbaus fassen wir gleich im Anschluss auf dieser Seite zusammen. Etwas mehr Details finden sie hinter den Links der Überschriften in den Boxen auf der rechten Seite.

Begründung des Modells im Detail

Hinter den Links der folgenden Überschriften finden Sie detailliertere Erläuterungen zur Argumentation des Modellaufbaus.

Eine detaillierte Ableitung des Informationsbegriffs für biologische Systeme und Akteure in der Wirtschaft

Wirtschaften als Netzwerk: Selbstorganisation und Informationsverarbeitung.

Die Strukturähnlichkeit der Wirtschaft mit Transformer-Netzwerken. Ableitung ihres intelligenten Verhaltens.

Ein Anwendungsbeispiel des Modells bieten wir hier:

Übersetzung zwischen Mikro- und Makroebene der Ökonomie: Das Sonnenschein-Mantel-Debreu Theorem, Rational Beliefs Theory und Behavioral Finance Theory.

Die Argumentation

Wir haben die Darstellung der Argumentation so aufgebaut, dass Sie in der linken Spalte jeweils eine knappe Zusammenfassung der Argumentation des jeweiligen Abschnitts finden. In der rechten Spalte befindet sich der eigentliche Text der Argumentation.


Wirtschaft ist Informationsverarbeitung

Wir vergleichen die klassische Informationsverarbeitung in der IT mit den Vorgängen in lebenden Systemen (der Biologie) und in wirtschaftenden Unternehmungen (der Wirtschaft).

Die Kriterien des Vergleichs sind:

  • Es gibt einen Fokus auf Zustandsänderung und Muster
  • Lernen, Evolution und Anpassung finden statt
  • Es Rückkopplung und Feedback-Schleifen in der Verarbeitung
  • Der Unterschied zwischen Materie und Idee geht verloren (mehr ein Fazit)

Als Konsequenz halten wir fest:

Wir können alle handelnde Einheiten aus diesen drei Bereichen als informationsverarbeitende Systeme auffassen. Den Vergleich mit biologischen Systemen führen wir hier mit, weil die Allgemeinheit des Informationsbegriffs dadurch deutlicher wird.

Information ist alles, was verarbeitet und hergestellt wird:

  • Materialien und alle Arten von Produkten
  • Dienstleistungen
  • Klassische Information: Daten, Zahlen, Töne und Bilder

Zustandsänderungen und Muster

Bei der Informationsverarbeitung geht es im Kern um die Transformation von Inputs und System-Zuständen durch festgelegte, regelbasierte Mechanismen. Entscheidend sind die Regelmäßigkeit der Transformation und die Kontrolle von Zustandsänderungen.

Während die verarbeiteten Signale in der Biologie z.B. Moleküle, Nährstoffe und Hormone sind, werden in der Wirtschaft Rohstoffe, Vorprodukte und ideelle Informationen verarbeitet, die aus der Kommunikation zwischen den Akteuren entstehen.

In der Biologie erfolgt die Regelung der Abläufe im Wesentlichen aus der genetischen Codierung, die sich in den Strukturen der Zellen und Organe niederschlägt. In der Wirtschaft werden Abläufe durch Regeln und Strukturen bestimmt. Beides lässt sich mit den Algorithmen der Informatik vergleichen.

Lernen, Evolution und Anpassung

Die Regeln für die Mechanismen der Informationsverarbeitung sind im Gedächtnis des Systems (das jeweils anders aussieht) abgelegt. Es gibt Prozesse, in denen die Regeln verändert werden. Diese Prozesse sind evolutionär, weil sie genau dann erhalten bleiben, wenn sie nützlich sind.

Die evolutionäre Anpassung der Verarbeitungsprozesse ist ein wesentliches, gemeinsames Kriterium der Informationsverarbeitung. Sie basieren auf den Schritten:

  1. Selektion und Variation: Ideen, Projekte, Strategien werden ausprobiert (Variation). Je nach Erfolg werden sie übernommen oder verworfen. In der Biologie kennen wir Mutation und überleben als entsprechende Prozesse. In der Wirtschaft handelt es sich um Produkte, die am Markt oder im internen Vergleich überleben oder eingestellt werden.
  2. Speicherung und Erfahrung: Gelingt ein neues Verfahren oder ein neuer Ansatz, so fließt diese Erfahrung in der Wirtschaft in Routinen und Standards ein. Sie wird im Organisationsgedächtnis verankert. In der Biologie wird sie genetisch gespeichert.
  3. Anpassung an Veränderung: Unternehmen reagieren auf Wettbewerb, technologische Neuerungen oder regulatorische Vorgaben. Sie passen ihre Struktur, Prozesse und Technologien an – was wiederum ein Informationsverarbeitungsprozess ist. In der Biologie überleben diejenigen Ausprägungen von Organismen, die dem Selektionsdruck besser standhalten.

In der IT gibt es diese Prozesse seit Neuerem als selbst-lernende Systeme in automatisierter Form. Aber auch in nicht lernenden IT-Systemen kommt es zu evolutionären Anpassungen, wenn Menschen als Sprecher solcher Systeme auftreten und Veränderungen veranlassen.

Rückkopplung und Feedback-Schleifen

Die Veränderung von Regeln ergibt sich aus Rückkopplungs- und Feedback-Schleifen. Sie resultieren aus der Eigenbeobachtung der Verarbeitungsprozesse der Systeme und ihrer Ergebnisse .

In der IT wird die Ausführung von Code schon auf Maschinenebene klar geregelt, indem z.B. Prozessoren auf Signale warten, die eine erfolgreiche Ausführung eines Arbeitsschritts anzeigen. Auch auf höherem Kodierungslevel, werden Informationen über den Zustand der Verarbeitung beachtet. Es bestimmen jeweils Daten über die Verarbeitung von Daten (interessant ist dabei, dass die beiden Arten von Daten eine unterschiedliche Medialität aufweisen, die sich aus dem Sinn der Verarbeitung ergibt).

In der Biologie und der Wirtschaft werden die Mechanismen von Regelkreisen und Rückwirkungen ebenfalls vielfach angewendet. Ausreichend Beispiele finden sich in den detaillierten Darstellungen zu den Bereichen.

Für die Wirtschaft lässt sich feststellen, dass ihre Artefakte über die Verarbeitung ihrer Artefakte bestimmen. Hier unterscheiden sich allerdings oft die Medien, in denen die Artefakte wirken: die Verarbeitung materieller Produkte wird durch ideelle Artefakte bestimmt. Die unterschiedliche Medialität der Artefakte ist dabei kein Hindernis, denn die Unterscheidung zwischen materiellem und ideellem Artefakt geht sowieso verloren. Materielle Produkte besitzen jeweils auch einen ideellen Wert und ideelle Artefakte materialisieren sich, d.h. sie müssen sich einem Trägermedium anvertrauen, um verarbeitet werden zu können.

Der Unterschied zwischen Materie und Idee löst sich auf

Die bisher erstellten Beschreibungen der Informationsverarbeitung treffen auf beides zu, „materielle“ und „immaterielle“ Information. Bei Materie in der Biologie oder physisch greifbaren Produkten in der Wirtschaft, trägt das Objekt jeweils auch spezifische Signaleigenschaften. Besonders deutlich wird diese Sicht bei Bruno Latour, der Objekte als soziale Akteure betrachtet.

Nichtmenschliche Akteure werden in einem sozialen Umfeld von menschlichen Akteuren zum Sprechen gebracht. Sie beeinflussen, indem sie auf menschliches Handeln einwirken, Beziehungen vermitteln und soziale Realitäten gestalten.

Materielle und immaterielle Information kann außerdem beliebig kombiniert werden, wenn immaterielle Information ein Trägersystem, also ein Medium, findet und sich so materialisiert.

Wirtschaft arbeitet als Netzwerk

Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) beschreibt unsere soziale Welt als ein Netzwerk von Akteure. In der Wirtschaft werden Menschen, Unternehmen, Maschinen, Produkte und Dienstleistungen zu den Knotenpunkten des Netzwerks der Wirtschaft. In ihm findet ein kollektiver Prozess der Informationsverarbeitung statt.

Als Konsequenz halten wir fest:

Informationsverarbeitung in der Wirtschaft findet in einem Netzwerk statt, in dem Akteure Informationen austauschen.

Das Netzwerk ist ein Netz der Netzwerke.

Und etwas spekulativer: Die Grenzen zwischen Akteuren und den von ihnen erzeugten Informationen lösen sich auf, weil jedes Produkt auch zum Akteur wird.

Übertragung der ANT

Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) impliziert, dass keineswegs nur menschliche Teilnehmer Akteure in einem Netzwerk sind. So auch in der Wirtschaft. Ihre Netzwerke bestehen vielmehr aus Knotenpunkten, in denen auch Maschinen, Dokumente, Software, rechtliche Rahmenbedingungen und physische Produkte als Akteure auftreten. Sie gestalten zusammen mit menschlichen Akteuren die Informationsflüsse und Entscheidungsprozesse.

Die Übersetzungsarbeit der Akteure

Die Leistung der Akteure in diesem Netzwerk besteht in der Übersetzung von Information in ein anderes Format und damit in eine andere Form. Wie diese Form aussehen muss, entscheidet das Netzwerk bzw. die Akteure, die die Information aufgreifen und weiter übersetzen. Auf diese Weise erledigen die Akteure ihre Übersetzungsarbeit nicht unabhängig voneinander, sondern sie formen sich gegenseitig. Wirtschaft ist dadurch ein kommunizierendes Netzwerk, das sich selbst steuert, stabilisiert oder verändert.

Akteure als Black-Boxes

Bruno Latour weist zudem darauf hin, dass Akteure sich aus der Aktivität des Netzwerkes heraus zu Black-Boxes entwickeln und so zu eigenständigen Akteuren werden. Ein solcher Akteur verdeckt den Teil der Komplexität, den er aufnimmt, und genau darin besteht seine Funktion: er reduziert Komplexität für andere Akteure im Netzwerk. Die Funktionsweise der Black-Box wird jetzt nur noch aus den Verknüpfungen heraus verstanden, die in ihrem Inneren ablaufen. Das heißt aber auch: das Netz ist ein Netz der Netze und sich damit in seinen Teilen und als Ganzes selbstähnlich.

Hybride zwischen sozialen und technischen Akteuren

Die Auflösung der Grenzen zwischen technischen und sozialen Akteuren sowie ihre gegenseitige Formung sorgt dafür, dass auch alle Produkte soziale, sozio-technische und materielle Beziehungen repräsentieren. Diese Beziehungen werden mit dem Produkt an andere Akteure mit-kommuniziert. Das heißt, die Hybridität des Netzwerks überträgt sich auf seine Produkte.

Der Ansatz der ANT hilft, die komplexen, dynamischen Beziehungen zwischen Unternehmen, Mitarbeitenden, Zulieferern, Kunden und weiteren Stakeholdern in einem ganzheitlichen (sozio-technischen) Licht zu betrachten. So können wir besser verstehen, wie materielle und immaterielle Ressourcen – in Form von Daten, Rohstoffen, Ideen oder Technologien – durch stetige Übersetzung zu marktreifen Produkten, Dienstleistungen oder Innovationen werden. Aus dieser Perspektive ist die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ein kollektiver Informationsprozess, der sich in einem Netzwerk stetig anpasst, formt und (neu) stabilisiert.

Informationsverarbeitung im Netzwerk

In einem sozialen Netzwerk findet Informationsverarbeitung durch die Emergenz von Informations- und Verhaltensmustern (Solitonen) statt, die sich vor dem Hintergrund der kulturellen Bedeutung von Normen und Erzählungen entwickeln.

Die Verarbeitung ist effizient, weil sie das Paradox von gleichzeitiger Stabilität und Dynamik auflöst und dabei schnell, flexibel, ausgewogen und ressourcenschonend vorgeht.

Als Konsequenz halten wir fest:

Informationsverarbeitung in der Wirtschaft ist als Netzwerk selbst organisiert und verwendet emergente Muster der Verarbeitung und Kommunikation.

Theo Gehm beschreibt in seinem Buch „Informationsverarbeitung in sozialen Systemen“, welche Merkmale Netzwerke von Akteuren haben, die es ihnen erlauben, Informationen zu verarbeiten und dabei komplizierte Aufgaben zu lösen. Er bezieht sich bei seinen Überlegungen vorrangig auf menschliche Kommunikation. Um sie in unserem allgemeinen Rahmen einsetzen zu können, werden wir sie allgemeiner auf den Informationsbegriff der Wirtschaft und auf Akteurs-Netzwerke anwenden. In ihnen lösen sich die Grenze zwischen sozialer und technischer Kommunikation auf.

Die Komponenten

Theo Gehms Darstellung beschreibt sehr genau, wie die Kommunikation in sozialen Systemen sich organisiert und auf diese Weise komplizierte Informationsverarbeitungsaufgaben löst. Um dieser Beschreibung folgen zu können, müssen wir uns zunächst drei Komponenten ansehen: Alogische und reaktive Prozesse, Solitonen als Muster der Kommunikation in Netzwerken und die Semiosphäre, die den Raum darstellt, in dem Zeichen, Bedeutungen und Kommunikationsprozesse existieren.

Alogische und reaktive Prozesse

Die Mechanismen der alogischen Informationsverarbeitung umfassen intuitive, emotionale und unbewusste Prozesse, die nicht strikt rational oder logisch sind. Sie unterscheiden sich von herkömmlicher systematischer und planvoller Informationsverarbeitung, denn sie optimieren ihre Reaktionsmuster iterativ durch Rückmeldung und Anpassung.

Die iterative Anpassung dieser Prozesse erfordert weniger Vorwissen und ist daher schnell und leicht veränderbar. Die Prozesse sind offen für alternative Lösungen und fördern Kreativität. Die Verarbeitung im Netzwerk profitiert außerdem von der Diversität der Mitglieder, da verschiedene Perspektiven und Maßstäbe zur Lösung von Problemen beitragen. Die schlanke, vorrausetzungsarme Verarbeitung dieser Beiträge ist die Grundlage dafür, dass sie berücksichtig werden können, ohne den Prozess aufzuhalten. In Krisensituationen reagieren alogische Prozesse daher häufig schnell und differenziert. Dezentralisierung reduziert die Reaktionszeit und es müssen keine aufwändigen Abstimmungsprozesse durchlaufen werden.

Die emergenten Strukturen alogischer und reaktiver Prozesse reduzieren die Komplexität der Informationsverarbeitung und schaffen trotzdem Orientierung für zukünftige Entscheidungen. Das Netz kann sich auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren, ohne ständig neue Regeln oder Prozesse erfinden zu müssen.

Solitonen: Muster der Kommunikation

In sozialen Systemen wird der Begriff der Solitonen metaphorisch verwendet, um stabile, selbstverstärkende Kommunikations- und Verhaltensmuster zu beschreiben, die emergent aus der Interaktion der Gruppenmitglieder entstehen und die Dynamik der Gruppe prägen.

Solitonen entstehen spontan aus einer Vielzahl von Interaktionen in einer Gruppe und sind nicht direkt geplant oder bewusst gesteuert. Die Bildung von Solitonen wird unterstützt durch Rückkopplung und Verstärkung in der Kommunikation, genau dann, wenn diese als relevant empfunden und deshalb häufiger wiederholt wird. 

Ein wichtiger Beitrag zur Stabilität und zum Überleben von Solitonen in einem Unternehmen geht dabei von nicht-menschlichen Akteuren aus. Die Kommunikation dieser Akteure ist in der Regel viel statischer als die von menschlichen Mitgliedern einer Gruppe. Das stabilisiert Kommunikations- und Verhaltensmuster.

Die Bedeutung von Solitonen ergibt sich daraus, dass sie unabhängig von individuellen Absichten der Mitglieder entstehen und sich weiterentwickeln können. Sie sind der Kern alogischer, reaktiver Prozesse, weil sie die stabilen Strukturen sind, die sich spontan aus Interaktion und Rückkopplung bilden. Gleichzeitig können sie leicht verändert werden, wenn die in ihnen stabilisierten Kommunikations- oder Verhaltensmuster von Mitgliedern des Netzwerks nicht mehr als passend aufgefasst werden.

Die Semiosphäre

Ein semiotischer Raum (die Semiosphäre) ist ein Konzept aus der Semiotik, das den Raum oder Kontext beschreibt, in dem Zeichen, Bedeutungen und Kommunikationsprozesse existieren, interagieren und sich entwickeln. Sie ist als Netzwerk der „Ort“, an dem kulturelle Kommunikation und Bedeutungskonstruktion stattfindet.

Die Semiospäre zeichnet sich durch ihre Heterogenität aus, weil in ihr unterschiedliche semiotische Systeme (Sprachen, Symbole, Codes) koexistieren und interagieren. Zwischen den verschiedenen kulturellen Systemen existieren Grenzen und Übergänge, die als Orte des Austausches und der Transformation dienen. An den Grenzen der Semiosphäre werden Erzählungen und Verhaltensmuster durch Variation neu und anders definiert, weil sie mit anderen Interpretationen in Berührung kommen.

Durch die Fähigkeit zur Veränderung ist die Semiosphäre kein statischer Raum, sondern ein dynamisches sich ständig veränderndes Netzwerk von Bedeutungen. Als ein solches stellt sie die Basis für die Emergenz von Solitonen als spezifische semiotische Muster bereit. Dabei wird sie selbst von ihnen beeinflusst: Zeichen und Bedeutung entstehen durch ihre Verwendung in der Kommunikation und somit fokussiert durch Solitonen. Solitonen sind deshalb Teilprozesse, die die Selbstorganisation der Semiosphäre verdeutlichen. Sie zeigen, wie stabile semiotische Einheiten entstehen.

Entlang der Netzwerkknoten sind es die Solitonen, die Grenzbereiche von Subsystemen miteinander verbinden oder die Grenzen stabilisieren. Diese Bereiche sind besonders produktiv, weil sie den Austausch und die Hybridisierung von Zeichen ermöglichen oder die Identität eines Subsystems stärken.

Informationsverarbeitung

Mit diesen Komponenten können wir erklären, wie die Informationsverarbeitung in sozialen Systemen funktioniert. Sie basiert auf dem Zusammenspiel von Rückkopplung, Emergenz und Diversität und macht sie zu einer effizienten Alternative zu einer planorientierten Informationsverarbeitung. Dazu sehen wir uns an, wie sie sich selbst organisiert, dabei Stabilität erreicht und was genau sie effizient macht.

Selbstorganisation und Stabilität

Selbstorganisation ist der Prozess, in dem sich ein System aus sich heraus ohne externe Steuerung bildet. Dabei entstehen Muster oder Regeln durch lokale Interaktionen der Elemente des Systems. Sie führen zu Ordnung und Kohärenz auf der Systemebene. Stabilität bedeutet die Aufrechterhaltung dieser Ordnung.

In sozialen Systemen finden diese Prozesse als Transaktionen in einem Netzwerk statt. Ordnung entsteht so nicht durch zentrale Kontrolle, sondern durch die spontane Herausbildung stabiler Kommunikations- und Verhaltensmuster, den Solitonen. Die Ordnung wird getragen von dem dynamischen, vernetzten Raum, der Semiospäre.

Solitonen und die Semiosphäre sorgen damit zusammen dafür, dass soziale Systeme trotz ständiger Veränderung kohärent bleiben. Sie schaffen Orientierungspunkte, die sowohl Flexibilität als auch Beständigkeit ermöglichen. Solitonen sorgen in diesem Zusammenspiel für Stabilität auf Mikroebene (z. B. innerhalb von Gruppen oder Interaktionen), während die Semiosphäre die Makroebene bereitstellt, in der diese stabilisierenden Prozesse stattfinden. Die Stabilität sozialer Systeme ergibt sich also so aus lokalen Mustern (Solitonen) und globalen Strukturen (Semiosphäre).

Effiziente Verarbeitung

Die Informationsverarbeitung in sozialen Systemen schafft Orientierung, Identität und Gedächtnis, die als Basis für Entscheidungen unabdingbar sind. Gleichzeitig bleibt sie dabei anpassungsfähig und schafft Raum für Innovationen. Solitonen sind Einheiten, die in der Semiosphäre entstehen, durch Gebrauch stabilisiert oder verändert werden, und die Semiosphäre beeinflussen. Sie sind deshalb Manifestationen der Dynamik und Stabilität kultureller Systeme.

Die paradoxe Leistung von Stabilität und Dynamik erbringen alogische und reaktive Prozesse, Solitonen und die Semiosphäre schnell, flexibel, ausgewogen und ressourcenschonend. Die Paradoxie wird dabei aufgelöst durch die situativ, individuell und zeitlich wechselnde Anpassung der Präferenzen von Kommunikation und Verhalten. Die alogische Verarbeitung erlaubt die schnelle und unkomplizierte Anpassung der Präferenzen an Störungen und Veränderungen des Umfeldes jedes einzelnen Akteurs. Die Netzwerkstruktur an sich sorgt dafür, dass diese Anpassung ausgewogen ist und ausreichend viele Aspekte von Störungen aufgreift. Alternative Reaktionen können im Netzwerk gleichzeitig parallel verarbeitet werden, so dass es im Netz verschiedene Anschlüsse für weitere Kommunikation und Verhalten, und so die Emergenz neuer Solitonen geben kann.

Die Wirtschaft als emergente, intelligente Form

Die Ähnlichkeit von Struktur und Verarbeitung von Information in Transformer-Modellen und Unternehmen zeigt sich in folgenden Punkten:

  • Autopoietische Verarbeitung: Bestehende Strukturen (Wissen, Organisation) formen, wie neue Inputs verarbeitet werden.
  • Multi-Head Attention im Unternehmen: Unterschiedliche Abteilungen (bzw. „Attention Heads“) gewichten Informationsströme unterschiedlich und führen sie zusammen.
  • Feedback und Lernprozesse: Durch ständige Rückkopplung justieren Unternehmen ebenso wie neuronale Netze ihre „internen Parameter“.
  • Emergente Intelligenz: Das Zusammenspiel vieler Teilakteure erzeugt ein Gesamtverhalten, das weder auf eine einzelne Komponente reduziert noch linear vorhersehbar ist.

Als Konsequenz halten wir fest:

Das wirtschaftliche Netzwerk besitzt eine emergente Intelligenz.

Die Arbeitsweise von Transformer-Modellen ähnelt derjenigen von Unternehmen oder der Wirtschaft als Ganzes.

Die Ähnlichkeit weist darauf hin, dass die Arbeit von KI-Modellen und wirtschaftenden Akteuren ebenfalls miteinander vernetzt werden kann und für ein erfolgreiches Zusammenspiel auch vernetzt werden sollte.

Im Vergleich mit der Transformer-Architektur von Large Language Modellen wird deutlich, wie Akteur-Netzwerke zu einer emergenten, intelligenten Form werden. Die Ähnlichkeiten zwischen den Strukturen legen es nahe, die Informationsverarbeitung der Wirtschaft als eine Form von kollektiver Intelligenz zu betrachten.

Autopoiesis als selbstreferenzielle Verarbeitung

Beide Systeme (LLMs und das Wirtschafts-Netzwerk) erzeugen und erhalten sich selbst, indem sie auf ihre Umwelt reagieren und zugleich ihre Struktur reproduzieren und transformieren. Struktur und Prozess basieren auf den Transaktionen, die im Netzwerk durchgeführt werden. Sie sorgen dafür, dass sich die Systeme je nach Bedarf erhalten und anpassen.

Die Frage nach dem Bedarf des Systems, und deshalb nach Erhalt oder Anpassung, ist selbstreferentiell, weil das System die Auswahl der Transaktionen, die es verarbeitet, aufgrund seiner Erfahrungen mit der Verarbeitung der Transaktionen trifft. Es beobachtet sich dabei selbst.

Autopoietisch arbeitende Systeme stabilisieren sich dadurch, dass sie sich auf die zurückliegende Verarbeitung von Transaktionen beziehen und Neues nur dann zum Anlass zu einer Veränderung nehmen, wenn es zu einer ausreichend großen Irritation des Systems führt.

Das System irritiert sich dabei selbst. Es stellt fest, dass die Verarbeitung von Transaktionen zu einem anderen als dem erwarteten Ergebnis führt. Bei ausreichend großer Irritation verändert das System die Auswahl der Transaktionen, die es verarbeitet, und die Form, in der es sie verarbeitet. Das System steuert sich über diesen Mechanismus selbst.

Netzwerkarchitektur und „Attention“-Mechanismen

In einem Netzwerk verarbeiten die Netzwerkknoten, oder die Teilnehmer im Netzwerk – also die Akteure, Informationen von mehreren anderen Akteuren. Dazu benötigen die Akteure interne Verarbeitungsmechanismen, die ihre Aufmerksamkeit auf die von verschiedenen Quellen eintreffenden Transaktionen richten. Der Akteur muss sich intern also soweit differenzieren, dass er diese Transaktionen unterschiedlich verarbeitet.

Transformer-Modell verwenden hierfür Multi-Head-Attention-Mechanismen. Unternehmen haben verschiedene Abteilungen oder Mitarbeiter, die diese Aufgabe übernehmen. Diese Parallele zwischen Attention-Mechanismen in Transformers und den organisationalen Mechanismen in Unternehmen verdeutlicht, wie ein Netzwerk aus Teilsystemen (Abteilungen, Teams) durch parallele Fokussierung eine kollektive Verarbeitung leistet.

Dynamische Gewichtung von Inputs und Feedback

Die Bedeutung der aus verschiedenen Quellen eingehenden Transaktionen wird von beiden Netzwerken abhängig vom Kontext anderer Transaktionen und vom Zustand des Systems angepasst.

Bei Transformer-Netzwerken wird die Gewichtung im Training des Modells gelernt und, falls sich die Gelegenheit bietet, über Feedback angepasst. Unternehmen arbeiten sehr ähnlich. Die Verarbeitung erfolgt in der Regel nach den erlernten Mustern. Reaktionsmuster und Verarbeitungskapazitäten werden regelmäßig oder bei Bedarf in Rückkopplungsprozessen angepasst.

Dieser Mechanismus beschreibt eine wesentliche Eigenschaft des autopoietischen Verhaltens beider Systeme. Sie setzen ihre Verarbeitung nach erlernten Mustern fort, bis die Muster durch neue Lernprozesse verändert werden. Die Lernprozesse werden durch die Selbstirritation des Systems, und damit durch Rückkopplungsprozesse, ausgelöst. Das heißt das System trainiert sich selbst neu, wenn es mit seiner eigenen Vorhersagefähigkeit nicht mehr zufrieden ist.

Kontextsensitive Verarbeitung und Emergenz

Durch „Attention“ kann ein Transformer Wortbedeutungen (oder andere Merkmale) kontextsensitiv entschlüsseln und im Kontext einer ganzen Sequenz interpretieren. Das „Verständnis“ des Modells über komplexe Zusammenhänge ist emergent: es entsteht durch das Zusammenspiel aller Schichten und Attention Heads.

In Unternehmen gibt es zahlreiche Kontextfaktoren: Marktbedingungen, regulatorische Vorgaben, technische Machbarkeit, Kundentrends, interne Ziele. Die resultierenden Entscheidungen oder Produkte sind ein emergentes Ergebnis, das aus dem Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren und Akteure hervorgeht. Keine einzelne Abteilung allein „entscheidet“ über den Erfolg, sondern das Wechselspiel aller involvierten Stakeholder, Tools, Datenquellen und Prozesse.

Das emergente Gesamtverhalten ist ebenfalls kennzeichnend für ein intelligentes System: Weder ein einzelner Mensch noch ein einzelner Algorithmus erzeugt das „Big Picture“, sondern erst das Netzwerk in seiner Gesamtheit. Theo Gehm hat dieses Verhalten mit der Entstehung von Solitonen für soziale Systeme beschrieben. Sie ergeben sich aus der Verarbeitung der Transaktionen und ihrer Rückkopplungen im Netzwerk. Gleichzeitig verändern sie die Semiosphäre des Systems, die den Hintergrund für die Verarbeitung bildet.

Lernfähigkeit als Zeichen von „Intelligenz“

In beiden Systemen finden wir die oben dargestellten Lern- und Anpassungsprozesse. Die Systeme sind dadurch in der Lage, sich an Veränderungen in ihrer Umgebung anzupassen und ihr Verhalten zu ändern.

Die Umgebung von Akteuren in einem Netzwerk sind in diesem Fall andere Akteure. Sie erzeugen den Kontext, auf den sich alle Akteure einstellen und ihn dadurch gleichzeitig wieder verändern. Dadurch entstehen im Netz selbst emergente Verhaltens- und Interpretationsmuster, die wir Solitonen und die Semiosphäre des Netzes oder von Teilen des Netzes nennen.

Durch ihre Eigenschaft emergente Muster der Informationsverarbeitung zu bilden und anzupassen, sind Netzwerke in der Lage kontextsensitiv und selbstregulierend zu lernen und zu arbeiten. Daraus lässt sich ableiten, dass Unternehmen – in Analogie zu neuronalen Netzen – „intelligent“ sein können.

Unternehmen und Wirtschaft als kollektives „Transformer-Netzwerk“

Betrachten wir nicht nur ein einzelnes Unternehmen, sondern das ganze ökonomische Geflecht aus Lieferanten, Partnern, Kunden und Wettbewerbern, so entsteht ein gigantisches Netzwerk. Einzelne Unternehmen fungieren darin als „Knoten“, die wiederum selbst vielschichtige innere Netze darstellen.

Durch ständige Kommunikation (Vertragsabschlüsse, Preissignale, Marketing, Kooperationen) tauschen diese Knoten fortlaufend Informationen aus und passen ihr internes „Gewicht“ (Budget, Produkt-Portfolio, Ressourcen) an. Wenn man dieses komplexe System als Ganzes betrachtet, bekommt man etwas, das man mit einem verteilten, globalen neuronalen Netz vergleichen kann. Es existieren signifikante Feedbackschleifen. Es wird Wissen kodiert und dekodiert (z.B. in Patenten, Marktplattformen, digitalen Ökosystemen).  Ständig erfolgt eine Anpassung an neue Umstände (Technologie, Gesetze, Kundenwünsche).

Die Erweiterung der Netzwerkvorstellung von Unternehmen auf Teile der Wirtschaft oder wirtschaftliche Aktivität als Ganzes zeigt noch einmal, dass wir es mit einem Netz der Netze zu tun haben. Die Emergenz des Verhaltens und damit die Intelligenz des Systems hängt von dieser Vielschichtigkeit ab: Akteuren, die in einem Netzwerk miteinander kommunizieren, und dabei selbst wie Netzwerke arbeiten und ihre individuelle Übersetzungsarbeit leisten.

Ist das „intelligent“? Eine systemische Perspektive

Gehen wir von dieser Definition aus: Intelligenz zeigt sich dann, wenn ein System über ein angemessenes internes Modell seiner Umwelt verfügt, das es ihm erlaubt, Zielfunktionen (z. B. Überleben, Wachstum, Gewinn, Nachhaltigkeit) erfolgreich zu erfüllen.

Dann gilt: Unternehmen (und Wirtschaftsnetzwerke) demonstrieren diese Fähigkeit, da sie aus der Vergangenheit lernen, auf Veränderungen reagieren und teils bemerkenswert kreative Lösungen finden, um mit Engpässen, Krisen oder Kundenbedürfnissen umzugehen.

Damit kann man sagen, dass das wirtschaftliche Netzwerk eine emergente Intelligenz besitzt – vergleichbar mit dem, was wir in großen KI-Modellen als „intelligentes Verhalten“ wahrnehmen.